Web 2.0 – eine neue Kultur der Selbstoffenbarung?

November 4, 2009 at 5:10 pm (Uncategorized)

In der letzten IKT-Präsenzveranstaltung am Montag ist kurz ein Thema andiskutiert worden, welches mich bislang nicht ganz los gelassen hat. Ausgangspunkt war, dass der Umgang mit dem Web 2.0 speziell für die Web 1.0-Generation, zu der wohl die meisten von uns gehören, eine ganz neue Dimension der öffentlichen Selbstmitteilung bedeutet. Und es kam die Frage auf, ob man diese Art der Selbstmitteilung von den Lernenden verlangen kann. Ich finde dies einen sehr interessanten Aspekt, da ich persönlich auch anfangs bemerkt habe, dass das Posten von Beiträgen in Foren, Blogs u. ä. bei mir grundsätzlich zunächst einmal ein Gefühl des Unbehagens auslöst – trotz aller Regeln wie Netiquette. Ich habe mich gefragt warum das so ist und festgestellt, dass es mir nicht so ganz behagt, einem Personenkreis, der mir zum grossen Teil unbekannt ist, meine Ansichten über die verschiedensten Themen preiszugeben. Ich glaube, wenn es keine Relevanz für die Leistungspunkte hätte, hätte ich es wahrscheinlich lieber bleiben lassen. So bin ich z. B. auch ein sehr passiver Facebook-User. Es käme mir nie in den Sinn ständig zu posten, was ich gerade mache oder wie ich mich gerade fühle. Man kann zusammenfassend sagen, dass ich ein relativ geringes Mitteilungsbedürfnis im Bezug auf eine mehr oder weniger bekannte Gruppe von Personen habe, was nicht heissen soll, dass ich keine Meinung zum Thema hätte

Nun bin ich persönlich dennoch froh, dass ich im Rahmen der IKT-Veranstaltung meine – durchweg positiven – Erfahrungen mit verschiedenen Web 2.0 Anwendungen machen konnte/musste J! Die Potenziale dieses webbasierten Austausches, der zuweilen sehr interessant und fruchtbar sein kann, wären mir sonst vermutlich noch lange verborgen geblieben. So schätze ich es z. B. dass ich zu einem Thema, zu dem ich mich während der Präsenzveranstaltung nicht geäussert habe, nun nachträglich noch meine Meinung kundtun kann und dies unabhängig von Ort und Zeit. Die schriftliche Kommunikation gibt einem die Möglichkeit, seine Gedanken strukturiert und überlegt zu äussern, was vielleicht in der eigentlichen Situation so spontan nicht der Fall gewesen wäre. Es ist durchaus interessant zu lesen, was andere zum Thema denken. Dies nur, um einige Potenziale aus der Situation heraus zu nennen, es gibt noch viele mehr.

Um zu meiner Ausgangsfrage zurück zu kommen – mir bleibt vor dem Hintergrund meines eigenen anfänglichen Unbehagens die Frage: kann ich von Schülern verlangen, dass sie sich zu einem Thema zum Beispiel auf einem Wiki öffentlich äussern müssen? Alleine wenn ich durch meine Klassen schaue, habe ich immer einige Lernende darunter, die sich nicht gerne vor allen äussern. Man könnte jetzt argumentieren, dass es ihnen schriftlich leichter fällt, aber vielleicht möchten sie ihre Gedanken nur bei der Lehrkraft wissen und nicht bei allen Klassenmitgliedern, was vermutlich speziell dann ein Problem wird, wenn das Klassenklima nicht sehr gut ist – aber solche Klassen gibt es immer einmal wieder. Muss hier einfach umgedacht werden im Rahmen von Web 2.0 oder sollte man einfach von Klasse zu Klasse entscheiden? Sollte man es in Kauf nehmen, dass sich auch nur einzelne damit nicht wohl fühlen und hoffen, dass sie am Ende von den Vorteilen überzeugt sind? Sehen die Schüler das Problem vielleicht gar nicht, weil sie mehr oder weniger mit Web 2.0 sozialisiert wurden und es gewohnt sind, sich über das Internet (z. B. Facebook) mitzuteilen? Freue mich auf Meinungen zum Thema!

3 Kommentare

  1. lilohi said,

    hallo ecolady,
    die unterschiedliche Sozialisation der jetzigen Generation von SchülerInnen im Bereich Öffentlichkeit ist etwas, das sie von der vorhergehenden Generation unterscheidet.
    Nur – es sind auch in dieser Generation nicht alle Jugendlichen, die im Internet zuhause sind. Die Bandbreite ist gross zwischen Leuten, die gar kein Internet zuhause haben und denen, die mit eigenem laptop surfen können, wann sie wollen und oft auch wo sie wollen, da wireless und mobiles Internet ja auch schon vielen zugänglich ist.
    Wenn ich mit einer Klasse arbeite, habe ich das also einzubeziehen. Vielleicht könnte man den Stand der Internetbenutzung in einer Klasse von einem Lehrer erfahren, der sie vorher unterrichtet hat oder sie mit einem kurzen Fragebogen dazu befragen, bevor man seinen webbasierten Unterricht mit einer Klasse beginnt.
    Ich meine, dass die SchülerInnen sich mit webbasiertem Lernen auseinandersetzen müssen, da sie im Berufsleben oder an der Universität ohnehin damit konfrontiert sind. Die Frage nach differenzierter Öffentlichkeit und Intimität bleibt berechtigt. Hier wird eine Mode vorgegeben und wer sich ihr nicht unterwirft ist eben „altmodisch“. Austausch kann auch in einem Blog stattfinden, der nur für diese Klasse zugänglich ist. „Verordnete öffentliche Kommunikation“ mit der klaren Sanktionen für die Nichtbeteiligung daran wäre ein Rückschritt wenn man doch selstbestimmtes Lernen auf seine Fahne geschrieben hat.

  2. ymeur said,

    Interessanter Ansatz. Ich habe deinen Eintrag mit Interesse gelesen, da es mir sehr ähnlich ging. Ich habe Mühe damit, der Welt kund zu tun, was ich gerade mache, oder was ich denke und fühle. eigentlich steckt viel Potential in den Web 2.0 Applikationen, wie du sie auch nennst, doch es bleibt und wird wohl auch so bleiben, dass nicht jedermann gerne zu jedem beliebigen Thema seine Gedanken ins etz stellt. Ich denke bloss daran, was ich als Mittelschüler zum Teil für Gedanken und Meinungen hatte. Wenn ich ganz ehrlich bin, möchte ich nicht, dass diese immer noch irgendwo auf einem Server gespeichert sind, da ich mich stark verändert habe. Es könnte ein falsches Bild vermitteln, was da im Netz stünde. Dieser Gedanke veranlasst mich, selber ein wenig unbehagen zu mepfinden, wenn ich meine Blogeinträge gestalten. Sie sind eben nicht perdekt (aus zeitlichen Gründen) und das ist nicht was ich eigentlich publizieren möchte. Es ist nicht sachlich und daher kann es auch ein falsches Bild abliefern. Man sollte sich dessen deshalb stets bewusst sein, wenn man eine Web 2.0 Applikation im Unterricht nutzen will. Ein sinnvoller Einsatz ist durchaus denkabar und auch interessant, man kann und soll aber in diesem Bereich vorsichtig sein, wenn man etwas „erzwingen“ will oder voraussetzt.
    Grüsse und viel Erfolg beim Bloggen!
    Yves

  3. Alexandra said,

    Ich kann deine Bedenken sehr gut nachvollziehen. Die Frage, „kann ich von Schülern verlangen, dass sie sich zu einem Thema zum Beispiel auf einem Wiki öffentlich äussern müssen“ habe ich mir auch schon gestellt, und ich bin zum Schluss gekommen, dass ich das eigentlich nicht von meinen SchülerInnen verlangen möchte. Wer dies möchte, der/die ist herzlich eingeladen, sich öffentlich zu äussern, doch es soll für niemanden ein Zwang sein und ist nie in irgendeiner Form notenrelevant. In anderen Worten mache ich alles, was nicht wirklich durch Passwörter geschützt ist, auf freiwilliger Basis. Und das wird von meinen SchülerInnen auch sehr geschätzt.

    Generell bin ich der Meinung, dass der Nutzen für die Lernenden bei webbasiertem Lernen ohnehin zuerst einmal hinterfragt werden soll. Gerade in Sprachfächern sehe ich eher wenig Potential, da sehr viel Lernen durch die Interaktion im Unterricht geschieht und dies nicht durch e-Learning ersetzt werden kann, allerhöchstens eben ergänzt. Die Hirnforschung zeigt zum Beispiel, dass Sprachen am allerbesten durch die face-to-face-Interaktion gelernt werden, d.h. die Lernenden werden kontinuierlich Aktion-Response-Prozessen ausgesetzt und die Lehrpersonen können dabei direkt auf mögliche Probleme eingehen. Dies ist bei webbasiertem Lernen nur begrenzt möglich. Mein Fazit nach diesem IKT-Kurs deshalb: manchmal ist das „Neue“ und „Moderne“ eben nicht unbedingt auch besser und erfolgsversprechender.

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